Christian Herter zeigt neue Werke in der Galerie Kriens: eine grosse Wandinstallation im Eingangsraum, dreidimensionale Papierschnitte im Korridor und ein installatives Ensemble im hinteren Raum. Christian Herter bezeichnet sich selbst als einen «Zusammenfüger»: Das Zusammenfügen ist eines seiner grundlegenden künstlerischen Verfahren, das auch diese Ausstellung prägt. Zusammenfügen meint hier aber nicht, dass sich einzelne Teile zu einem harmonischen Ganzen verbinden: Christian Herters Teilchen bilden nie eine stabile, in sich geschlossene Einheit, sondern vielmehr einen fragilen Zustand oder skulpturale Momente, die provisorisch festgehalten wird
Im hinteren Raum befindet sich das installative Ensemble STEHEN LIEGEN SITZEN HANGEN; der Werktitel dient zugleich auch als Ausstellungstitel: Die vier Positionsverben bezeichnen Grundpositionen der Skulptur, gleichzeitig beschreiben sie aber auch in phänomenologischer Kurzform den menschlichen Körper im Raum. Wie bereits erwähnt: Christian Herter denkt als Bildhauer immer aus der eigenen körperlichen Erfahrung heraus, als ehemaliger Kunstturner ist ihm das Zusammenspiel zwischen Körper, Schwerkraft und Raum bestens vertraut.
Die Installation besteht aus einer Reihe von Skulpturen, die aus Metallrohren und ergänzenden Materialien als Raumcollagen rudimentär zusammengefügt sind. Die dicht nebeneinander montierten Skulpturen hängen mit Drähten von der Decke, stehen oder liegen am Boden. Und wieder ereignet sich ein Kippmoment:
Die spröden Skulpturen mit ihrem metallischen Gerüst muten abstrakt an und erinnern zugleich an Figuren – hier erkennt man Arme und Beine, dort Kopf und Rumpf. Solche stilisierte Figuren hat Christian Herter als jugendlicher Kunstturner in Form sportdidaktischer Strichzeichnungen kennengelernt und als Sollbewegung verinnerlicht. Das neue Skulpturenensemble geht biografisch also auf diese schematischen Visualisierungen aus der Jugendzeit zurück. Aufgrund der dichten Anordnung kommt es optisch zu einer Durchdringung der einzelnen Figuren, die in verschiedenen Richtungen platzierten Metallrohre überschneiden sich und bilden eine gitterähnliche Raumstruktur. Betrachtet man die Installation als Ganzes, treten die einzelnen Skulpturen in den Hintergrund zugunsten eines räumlichen Rasters, der alle möglichen körperlichen Einschreibungen strukturell vorzeichnet.
Doch wenden wir uns wieder den einzelnen Skulpturen zu, die zwischen dekonstruktivem Möbeldesign und abstrakten Comicfiguren changieren. Die nüchternen Konstruktionen scheinen überraschenderweise auch ein Innenleben zu besitzen, sie verkörpern nämlich nicht nur physische, sondern auch emotionale Zustände. Nebst der grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Körper im Raum ist es diese stets mitschwingende psychologische Dimension, die Christian Herter interessiert: Während die eine Figur prekär in der Luft schwebt, steht die andere mit instabilem Gleichgewicht auf einem Fuss oder sitzt in sich versunken auf dem Boden. Allen Figuren gemeinsam ist eine Art Gefährdung; das Ensemble ist vereint durch das unausgesprochene Wissen, dass früher oder später alle Positionsanstrengungen zum Fall verurteilt sind. Die Psychologie schlägt ins Metaphysische um: In diesem Sinne kann man die raumfüllende Installation auch als theatralische Inszenierung eines abstrakten Totentanzes lesen, in dem die einzelnen Akteur:innen nicht wirklich wissen, was für eine Rolle sie spielen. Und wenn wir uns als Betrachter:innen zwischen diesen skelettartigen Figuren hindurchbewegen, werden wir unvermittelt ein Teil dieser Inszenierung, die zu unserem eigenen, alltäglichen Drama wird. Wenn es dann aber einmal soweit ist, dass alles in sich zusammenstürzt, dann bleibt wohl nichts anderes übrig als die einzelnen Teile aufzulesen, zu sortieren und wieder neu zusammenzufügen. –
Guy Markowitsch,
März 2023