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#00R entstand in Zusammenarbeit mit MATTHIAS AEBERLI


8 Plakate & Release _957 #00R_ holy / animal / saints

SA, 18. März 2023 ab 16 – 19 Uhr


Redaktion, Himmelrichstrasse 4, 6003 Luzern



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Tierfotos.

Kastanientierfigürchen.

Tierskulpturen.

Plüschtiere.

Tiergraffitti.

Plastiktierli.

Tiernippes.

Blechtiere.

Tierbilder.

Spieltiere.

Tiergemälde.


Heilige Tiere.

Neue Heilige.


Die Verehrung von Tieren als Heilige ist in vielen Kulturen ganz

selbstverständlich verbreitet. Oft handelt es sich bei den verehrten

Tiergestalten um Götter, die in Form eines Tieres erscheinen – oder es werden Tiere vergöttlicht, weil ihnen besondere Fähigkeiten

zugeschrieben werden. Sie übertreffen den Menschen an Kraft und Wendigkeit oder es werden ihnen Tugenden wie Schlauheit oder Mut zugesprochen.


Dabei sind Tiere, die als domestizierte Haustiere dem Menschen

speziell nahestehen, für gewisse Attribute in der Poleposition: Hund und Katze sind dafür gute Beispiele, ihnen werden kulturelle

Fähigkeiten oder Tugenden wie Schlauheit oder Treue zugeschrieben, während der Stier etwa für Manneskraft oder das Pferd für

Schnelligkeit stehen können. Die Bedeutung von Tieren ist in den

verschiedenen Kulturen höchst unterschiedlich – nur selten aber wird dies

heute noch auf einer Ebene verhandelt, die der Heiligkeit der Kuh in Indien und für Hindus gleich kommt.


Dagegen nimmt der Status der Heiligkeit, der Tieren in der christlichen Kultur zugeschrieben wird, nur einen recht bescheidenen Platz ein, Tiere werden nicht als heilig verehrt, sondern sie können den Platz von

Heiligen oder Erscheinungen einnehmen, die Taube steht für den

Heiligen Geist, das Lamm für Christus, die Schlagen für die Versuchung, und Ochs und Esel für den Stall und die Geburt Jesu. Tiere sind Teil der biblischen Symbolwelt und sind – wie eben grad Ochs und Esel – oft nicht biblischen Ursprungs, sondern entstammen häufig einem Volksglauben, dem populären Weitererzählen der biblischen Geschichte. Aber eben: «Heilig» sind die Tiere als Wesen nicht, sondern sind immer Symbole göttlichen Wirkens oder gleichnishafte «Güter».


Matthias Aeberli schafft nun eigene Heilige, neue heilige Tiere, die er mit Heiligenscheinen in der Tradition der christlichen

Heiligendarstellung auszeichnet. Und er versammelt Tierdarstellungen aus verschiedensten Lebensebenen und in verschiedensten Bildformen zu einer Bilderzählung von Fingerhund zu Paradepferd, Fotografien

mischen sich mit grob ausgeschnittenen Bildern aus Illustrierten,

Reproduktionen von Zeichnungen und Gemälden, Skulpturen und

Porzellanfigürchen. Während die Bilder im Katalog weitgehend

unkommentiert und unbetitelt stehen, sind die Darstellungen auf den Plakaten, die im Stadtraum Luzerns aufgehängt wurden, von Legenden begleitet. «holy animals/new saints» steht da, und jedes der jeweils drei Tiere, die

nebeneinander stehen, ist mit einem kurzen Bildnachweis versehen: «Matthias Aeberli, Foto, Tiger in public space in Foligno (Umbria)» etwa, oder «Matthas Aeberli, Foto, lost and found dog», oder «Matthias Aeberli, Foto, sculpture by Matthias Aeberli».


Den akribischen Fotonachweisen steht die Behandlung und Gestaltung der Bilder gegenüber, die bewusst «gebastelt» daherkommen, mit

Heiligenscheinen aus Goldfolie, die ausgeschnitten und ins Bild

eingesetzt werden. Das Heilige – oder seine Verbildlichung mit dem

Heiligenschein – bleibt bei diesen neuen heiligen Tieren ein Fremdkörper, so, als wollten sich die Sphären nicht oder nur sehr unwillig vereinen. Und so, als sei es dem Künstler wichtig, eben dies zu betonen, diese Ebenen von

Alltagsfund (Lamm, Hund, Tiger) und derjenigen der Heiligkeit.


So wird Matthias Aeberli mit seinen Heiligen Tieren nicht zum

Religionsstifter und auch nicht zum heiligsprechenden Tierpapst, sondern er bleibt, was er ist: ein Künstler, der die Bildwelten, die ihn umgeben,

aufmerksam, kritisch und mit einer Portion Humor zur Kenntnis nimmt und ihnen immer wieder neu auf die Spur schleicht. Dass er dabei unsere

Sehgewohnheiten und -routinen einer Befragung unterzieht und dabei

durchaus auch eine Verunsicherung der betrachtenden Person in Kauf nimmt,

versteht sich von selbst. In unserer Bilderflutenwelt wird manches, was nicht der Gewohnheit entspricht, als Belastung, als kompliziert, unpassend oder

irrelevant empfunden, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil die schiere Menge der täglich zu verdauenden Bilder keine Zeitinvestition in die Reflexion über ein Einzelnes zulässt. Von dem her ist zu wünschen, dass die Plakate mit den heiligen Tieren diese Reflexion in Zeiten der

Bildirrelevanz befördern mögen.


Dr. Andres Pardey, Museum Tinguely Basel

MAGAZIN (A5) mit 64 SEITEN und 1 Plakat (A2)