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We Are Here. Wir sind hier. Das ist mehr als ein Statement. Wir sind hier. Das ist ein Bekenntnis. Es bedeutet die aktive Teilnahme und Teilhabe am demokratischen Prozess. Heisst, Demokratie, aus dem Altgriechischen dēmokratía, als Volksherrschaft ernst nehmen, auch wenn wir leider bis heute darum streiten, wer mit Volk (dēmos) gemeint ist. Denn noch immer erachtet es nicht jeden. Demokratie ist aber bei Definition keine Angelegenheit nur von Männern, oder Grundbesitzern, oder Weissen, oder dem reichsten Prozent der Gesellschaft. Um so wichtiger also: Wir sind hier. Heisst, wir alle. Ohne Einschränkung. Wer hier ist, gehört dazu. Das Ideal. Eine Utopie?


Weil es aber eben bis heute nicht gegeben ist, das sich Jede:r am Ort des Lebensmittelpunktes zugehörig und repräsentiert fühlen kann, ja, dass die Ausschlussmechanismen oft stärker sind als das Versprechen von Gemeinschaft, bedarf es gelegentlich Demonstrationen, um auf diese diskriminierenden Umstände aufmerksam zu machen. Demonstrieren, aus dem Lateinischen von dēmōnstrāre—also bezeichnen, darlegen, hinweisen—entlehnt. Schaut her: Wir sind hier.


We Are Here ist eine Hommage an die Strasse als Ort öffentlicher Auseinandersetzungen und an die Demonstrierenden als ihre zentralen Akteur:innen. Durch ihre körperliche Präsenz stehen sie für die eigenen Interessen und Rechte ein - und die Anderer. Ein demokratisches Recht und dessen Verantwortung zur Äußerung von Dissens und Protest für das Allgemeinwohl. Solidarität. Wir sind hier. Auch für euch.


Martha Roslers künstlerische Praxis ist seit den 1960er Jahren eng mit ihrem politischen  Aktivismus verbunden. Schon ihre frühen Collagen waren für Zines gedacht, die auf der Strasse und bei Anti-Vietnamkriegsdemonstrationen verteilt wurden. Immer wieder hat sie auf Demonstrationen, Märschen und Protesten, an denen sie teilnahm, auch ihre Mitmenschen um sich herum offhand fotografiert. We Are Here versammelt eine Auswahl dieser Fotografien aus den letzten 12 Jahren und zeigt sie aufgedruckt auf Fahnen und Bannern sowie in einer Diashow. Zudem gibt Stephan Wittmer ein begleitendes Zine (_957 #171_We Are Here) heraus.


In einer Zeit, wenn gefühlt demokratische Prozesse bedroht sind und scheinbar vor allem in den Foren sogenannter sozialer Medien oder hinter verschlossenen Türen verhandelt werden, soll diese von Daniel Blochwitz kuratierte Ausstellung demonstrieren, dass die absolute Zahl der Menschen, die (auch) auf der Strasse ihr Recht auf demokratische Mitbestimmung einfordern und sich dort für eine gerechte Sache und progressive Belange einsetzen, seit Jahren eher wächst als weniger wird. Diesen vielen, politisch engagierten Menschen sowie ihren Anliegen und Meinungsäusserungen, die in einer DIY-Ästhetik auf Schildern, Transparenten und Fahnen Ausdruck finden, sei in dieser Ausstellung Anerkennung gewidmet. Denn Demokratie ist nicht in Gefahr, aber wir sollten uns wieder darüber bewusst werden, wer für sie einsteht und wie.


Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt?


Daniel Blochwitz , Dezember 2024



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„Ich bin nicht der Einzige, der der Meinung ist, dass es ein bisschen plump ist, sich als Aktivist zu bezeichnen, vor allem wenn man Künstler ist. Diesen Titel muss man sich verdienen. Man kann sich nicht einfach als Aktivist bezeichnen“, und weiter: “Wir erwarteten nicht, von dem System, das wir kritisierten, belohnt zu werden. (...) Wir wollten uns dem System anschließen und es auf unsere eigene Weise umgestalten. In Anbetracht der stark eingeschränkten Rolle des Kunstmarktes zu diesem Zeitpunkt war dieses Ziel gar nicht so lächerlich. Schließlich hatten sowohl der Pop als auch seine Nachfolger wie der Minimalismus und vor allem die Konzeptkunst dies bereits getan, ganz zu schweigen davon, wie der Feminismus die Bedingungen des Systems veränderte. (...) In den 1960er und sogar noch in den 70er Jahren wollten einige studentische Aktivisten Universitätsakten verbrennen und die Büros von Professoren verwüsten, wenn diese in die Kriegsforschung verwickelt waren, und einige Künstler forderten vielleicht, dass Museen zerstört oder abgebaut werden sollten, obwohl ich keinen einzigen nennen kann - aber ich stimmte mit denen überein, die glaubten, dass „dies unser Erbe ist“. Lasst uns das Erbe und den Raum zurückgewinnen, und das halte ich immer noch für wichtig.“

(Martha Rosler in einem Interview mit Cara Ober von BmoreArt, 2019)



"I am not alone in thinking that, especially when you’re an artist, it’s a bit crude to call yourself an activist. You have to earn that title. You don’t get to designate yourself an activist.", and further, "We did not expect to be rewarded by the system we were critiquing. (...) We wanted to join and rebuild the system in our own way. And considering the highly restricted role of the art market at that point, it wasn’t all that ridiculous an aspiration. After all, both Pop and its successors, such as Minimalism and more importantly conceptual art, had already done so, not to mention the way feminism was changing the terms of the system. (...) In the 1960s and even in the ‘70s, some student activists wanted to burn university files and trash professors’ offices, if they were implicated in war research, and some artists may have claimed that museums should be destroyed or dismantled, although I can’t name a single one—but I agreed with those who believed that 'this is ours—our heritage.' Let’s reclaim the heritage and reclaim the space, and I still feel this is important."

(Martha Rosler in an interview with Cara Ober of BmoreArt, 2019)

 







Martha Rosler

We Are Here | Marches & Protests


Eröffnung: Donnerstag, 5. Dezember 2024, 18 – 21 Uhr


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Himmelrichstrasse 4/ CH - 6003 Luzern


Ausstellung und Release _957 #171_We Are Here

Kuratiert von Daniel Blochwitz



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